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INTERVIEW: ARCH ENEMY

Posted by Radu On September - 17 - 2017

Mit ihrem aktuellen Album „Will To Power“ überschreiten ARCH ENEMY ihre musikalische Grenzen und loten das bereits opulente Potential weiter aus. Im Century Media Hauptquartier sprachen wir mit Alissa White-Gluz über Entstehung der Texte, Neuzugang Jeff Loomis und der eigenen Verantwortung gegenüber der Welt, die uns umgibt.

ARCH ENEMY BANDDer Albumtitel könnte eine Kampfansage sein; anders jedoch als beispielsweise Panteras „Vulgar Display Of Power“ beschränkt sich das Album nicht nur darauf, musikalische Aggression auf die Außenwelt zu hetzen. Das Album erzählt viel mehr unterschiedliche Geschichten, die sowohl persönlicher, als auch philosophischer Natur sind. „ Der Albumtitel vermittelt viele Botschaften auf unterschiedliche Weise. „Will To Power“ bedeutet, daß etwas existiert und nach mehr strebt. Kleine Moleküle formen sich zu einem großen Ganzen und es wird Leben erschaffen. Ähnlich sieht es im Kosmos generell aus. Wenn man die Evolution nach Charles Darvin betrachtet, strebt alles danach, sich weiter zu entwickeln, um immer mehr zu wachsen. Ähnlich geht es uns sowohl körperlich, als auch psychisch, wenn wir uns weiter entwickeln. Man kann es auch auf unsere Umwelt münzen und die Entwicklung betrachten, was eine extrem spannende Sache ist. Wir wollten kein Konzeptalbum um ein Thema herum bauen; ich denke daß „Will To Power“ viele Facetten mit einer ähnlichen Botschaft erzählt.“

Beim Thema “Texte” spielt man im Haus ARCH ENEMY sich gegenseitig den Ball zu. „Michael und ich schreiben beide gerne Texte. Auf dem letzten Album war ich bereits an Bord und dieses Mal haben wir uns die Aufgabe erneut geteilt. Manchmal schreibt er, manchmal nur ich und manchmal gehen wir es gemeinsam an. Das Album startet mit „The Race“, einer old school Death Metal-/Thrash-/ Punknummer. Wir haben dem Songnamen bewusst eine Doppeldeutigkeit verpasst; einerseits ist es wie ein Rennen, weil es auch eine schnelle Nummer ist, andererseits trägt es auch die Bedeutung der Rasse bzw. der Menschheit allgemein in sich. Ich wollte mit der Nummer Leute dazu bringen, mehr über sich und die Leute nach zu denken, die anders sind. Gerade die Schwächeren brauchen den Schutz der Stärkeren. Es gibt immer Leute, die jene unterdrücken, die anders sind. Ich habe immer daran geglaubt, daß jeder die gleichen Rechte hat. Nicht nur die Gleichstellung von Frauen und Tieren, sondern von allem was uns umgibt geht es maßgeblich auf „Will To Power“. Es geht darum, ein lebenswertes und friedliches Leben führen zu dürfen. Dabei konzentriere ich mich auf `The Race` auf die negative Seiten, wie z.B. jemand der Amok läuft und so etwas. Es klingt aggressiv und das ist es auch, denn es ist die negative Seite, die wir alle in uns tragen.“ Durch das Ausleben der negativen Seite in der Musik, soll die Balance zwischen den positiven und negativen Energien wieder hergestellt werden. Allerdings bedarf es auch dem Bewusstsein, das zu erkennen und die Lethargie der Gleichgültigkeit abzuschütteln. „Die meisten Leute verschließen die Augen vor negativen Ereignissen, bis sie einen persönlich betreffen. Wenn du z.B. aus dem Fenster schaust und ein Haus in der Nachbarschaft brennen siehst, machen einige das Fenster zu und denken, daß Problem ist aus der Welt. Erst wenn sie die Rauchentwicklung mitbekommen, ist das Problem wieder in ihren Köpfen präsent. Ich denke, daß viele Leute ihre Fenster öffnen sollten, bevor es zu einem unlösbaren Problem kommt.“

Arch Enemy Video`Murder Scene war der letzte Song des Albums, der seinen Weg aus Alissas Kopf auf das Papier gefunden hat. „Ich hatte mal ein Gedicht geschrieben und dachte, daß es gut zu dem Song passen würde. Ich war mir aber nicht sicher und fragte mich einige Wochen lang, wie ich den Text mit dem Song verbinden könnte. Eines Tages saß ich einfach da, fing an zu schreiben und sagte danach: „That´s it. Perfect!“ Ich denke daß dieser Song einigen aus der Seele sprechen wird, denn jeder von uns kennt Personen, die uns verlassen oder verraten haben. Es muss nicht mal eine Person sein, es kann auch eine Situation oder auch ein Teil von uns sein, von dem wir uns verabschieden mussten. Vergeben und vergessen ist einfacher gesagt als getan und deshalb bin ich der Meinung, daß man einige Dinge einfach radikal abschneiden muss. Wir gehen in unserem Leben durch mehrere Situationen und erschaffen mehrere Tatorte, die uns letzten Endes zu dem machen, was wir heute sind.“ Man muss erst durch mehrere Höllen gehen, um daran zu wachsen und stärker zu werden. Letzten Endes sind es die vielen Schicksalsschläge, die unsere Aufmerksamkeit auf unsere innere Kraft lenken und dabei helfen, weiter zu machen. Jede (mentale oder körperliche) Narbe könnte daher eine `Murder Scene` darstellen. Das Prinzip könnte man auch auf die Evolution ausbreiten, bei dem sich das Leben seinen eigenen Weg gesucht und den Menschen aktuell auf das obere Podest gesetzt hat. Auch wenn es ebenfalls den Antrieb zu Wachsen beinhaltet bremsen wir uns an dieser Stelle, weil das Gespräch ansonsten leider den Rahmen sprengen würde.

Respekt gegenüber den Mitmenschen und der Welt, die uns umgibt, sind Merkmale, die bei ARCH ENEMY ausgelebt werden. „Unsere Band und Angela haben was das angeht einen ähnlichen Standpunkt. Wenn du dir unsere Erde vorstellst, ist der Mensch lediglich ein Parasit. Wir sind schließlich Schuld daran, daß es zur Zeit so viel Zerstörung gibt. Vor der Menschheit wurde alles recht gut ausbalanciert. Mittlerweile wird die Welt an einigen Ecken überbevölkert und einige entscheiden, wer etwas zu essen bekommt und wer nicht. Zusätzlich wird entschieden, wer mehr Rechte hat und wer weniger, ohne eine logische Grundlage zu haben. Zur Zeit geht es außer Balance und wenn du dir das bei einem menschlichen Körper vorstellst, ist es wie eine Krankheit. Es gibt in der Natur die Möglichkeit, eines symbiotischen Zusammenlebens. Nimm z.B. einen Fisch auf einem Hai; der Fisch nutzt den Hai, um schnell vorwärts zu kommen und frisst im Gegenzug seine Parasiten. Das ist eine Lebensweise, die wir als Menschen schnellstmöglich benötigen, um auf dieser Welt zu überleben.“

Über den Text von `First Day In Hell` wird der Mantel des Schweigens gelegt, weil sich hier der Hörer selbst ein Bild machen soll. Einen kleinen Ausblick gibt uns Alissa dennoch: „Der Song beinhaltet eine Situation aus meiner Kindheit, als ich meine Großeltern über deren Kindheit sprechen gehört habe. Die Geschichte findet während eines historischen Ereignisses statt. Es ist persönlich, aber auch gleichzeitig eine globale Situation, die ich aus einer Ego-Perspektive beschreiben wollte. Es ist ein Song, den ich schon sehr lange machen wollte und bei dem mir viele Ideen kamen. Jedes Wort, jede Silbe sind für mich hier sehr intensiv, denn es ist ein sehr finsterer Song.“

Arch Enemy closeDie Zeilen zu `A Fight I Must Win` sind die gemeinsamen Kinder von Alessa und Michael und beschäftigen sich mit dem inneren Kampf und Depressionen. „Der Song ist ein gutes Beispiel wie gut Michael und ich harmonieren. Er hatte den Text bereits fertig, war sich aber an einigen Stellen nicht sicher. Also habe ich hier etwas ergänzt, dort etwas gestrichen, bis wir beide zufrieden waren. Einer der größten Herausforderungen der Menschheit ist der innere Kampf mit sich selbst. Auch wenn ich es niemandem wünsche, so trägt jeder von uns einen inneren Dämon in sich. Wer jemals dieses Gefühl erfahren hat, wird sich in diesem Text wahrscheinlich gut wiederfinden. Es ist wie brodelnder Sturm, der einen dazu veranlassen könnte, sofort zu den Waffen zu greifen und Amok zu laufen. Du kannst jemandem auf der Straße begegnen und hast keine Ahnung, welchen inneren Kampf die Person vielleicht gerade in sich trägt. Ich denke, daß wir dieses Gefühl in dem Sound und in dem Text sehr gut eingefangen haben.“ Auch wenn der innere Kampf mit dem Dämon die Gefühle aufwirbeln lässt, so ist es doch an jedem von uns zu entscheiden, in wie weit wir mit diesen Gefühlen umgehen. Statt körperlicher Gewalt, kann man die Energien entsprechend kanalisieren, um beispielsweise etwas kreatives zu erschaffen. Der Song dazu ist das beste Beispiel dafür.

arch-enemy-2017`Reason to Believe` markiert für ARCH ENEMY eine Premiere, denn erstmals sind Alissas klare Vocals zu hören. Wer jedoch nun Angst bekommt, daß man sich dem Kommerz öffnet und sich dem (durch die Massentauglichkeit teils verseuchte) Beauty and the Beast Gesang öffnet, kann beruhigt aufatmen. Hier wurde lediglich auf die gleiche Methode gesetzt, mit der bereits Metallica, Pantera oder Testament in ihren (Halb-) Balladen den Kontrast von introvertierten Momenten zu Aggressionseruptionen beackert haben. Dies wird durch die Tatsache unterstrichen, daß mehrere, unterschiedliche Gesangslinien übereinander gelegt wurden. “Michael hat den Text geschrieben und als er die Idee in den Raum warf, mit klarem Gesang zu arbeiten, standen wir erstmals alle da und dachten uns: “OK, das könnte episch werden”. Allerdings brauchte ich dafür einiges an Hintergrundinformationen. Worum geht es, wer ist die Person, was fühlt die Person? Ich wollte hier sicher sein, daß meine Stimme genau das wiederspiegelt, was die Person auch fühlt. Ich sperrte mich stundenlang in einen Raum ein und ging mit meinem Gesang den Text immer wieder und wieder durch, wobei auch einige Tränen flossen. Ich wollte unbedingt, daß meine Stimme im Kopf des Hörers etwas bewegt und ihn wach rüttelt. Letzten Endes ist es ein sehr persönlicher Song geworden. Ich wollte, daß der Schmerz und die Qual direkt in meine Stimme übergeht und ich denke, daß wir dem Song eine eigene Magie gegeben haben. Es ist der erste ARCH ENEMY Song mit klaren Vocals und gleichzeitig unser erster Midtempo Song. Wir machen generell sehr heftigen Stoff: Einprägsame Melodien, ehe es wieder in den harten Stoff mündet. Dieser Song ist ebenfalls heftig, allerdings auf seiner eigenen Art und weise.” Das Prinzip zwischen leisen Tönen und brachialen Ausbrüchen kommt hier besonders zur Geltung.

Mittlerweile können sich ARCH ENEMY über eine Millionen Zuschauer des Videos zu `The World is Yours`(innerhalb von zwei Tagen) erfreuen. Gerade die zugänglichen Riffs und vielen Ãœberraschungsmomente wurden hier gebündelt. Doch wie funktioniert eigentlich das Songwriting generell? “Michael ist unser Hauptsongwriter. Er macht die gesamte Vorarbeit und schickt mir dann seine Ideen, damit ich bescheid sage, was ich darüber denke. `The World Is Yours` ist quasi als erstes entstanden. Der Song ist sehr packend, heavy und vor allem sehr ARCH ENEMY.”

Wem die bisherige Gitarrenarbeit “nur” gefallen hat, dürfte über den Einstieg von Jeff Loomis die Augenbrauen hochziehen. Neben den gewohnten Trademarks, kommt nun noch einge Steigerung in Sachen Griffbrettakrobatik hinzu, die man bei “Burning The Stages” bereits bewundern kann. Auch innerhalb der Band freut man sich ungemein über den festen Einstieg des Saitenhexers.”Jeff ist einer der nettesten Typen überhaupt! Super talentiert, sehr geerdet und absolut nett. Es war schon unglaublich, ihn auf Tour zu haben und es ist genauso herrlich, mit ihm an einem Album zu arbeiten. Er hat einen andren Stil auf der Gitarre als Michael, was sich gegenseitig sehr gut ausbalanciert. Jeff ist ein professioneller Gitarrist, der das Instrument bis an seine Grennzen fordert. während Michael auch technisch, aber sehr viel emotionaler unterwegs ist. Er schaut eher, wie er die Gefühle mit jeder Note transportiert. Als ich die Songs erstmals im Groben gehört habe, dachte ich an einigen Stellen, daß dort ein Solo hin sollte. Später hat Jeff dann auch seine Soli genau dort eingebaut. er ist ein unglaublicher Gitarrist, Perfomer und Persönlichkeit!”

Arch Enemy Cover smallAuch beim Cover wurde nichts dem Zufall überlassen. “Das Cover wurde erneut von Alex Reisfar gestaltet. Wir haben über die Möglichkeiten des Covers diskutiert. Michael hatte eine eher symbolische Vorstellung davon, während ich eigentlich mehr auf abgedrehte Sachen wir Hieronymus Bosch stehe. Ich mag es, wenn man stundenlang auf ein Bild starrt und immer noch neue Details erkennen kann. Bei einem guten Albumcover sollte etwas charismatisches dabei sein, was man beispielsweise auch als Tatoo tragen kann. Bei dem Cover von “Will To Power” kann man noch einige Details ssehen,weil es ein Ölgemälde ist. gleichzeitig hat es aber auch diesen symbolischen Charakter, der einem schnell im Gedächtnis bleibt. Jedes Detail ist hier sehr ausgeprägt und für mich ist es ein interessanter Aspekt zu sehen, was ein anderer Künstler bei unserer Musik gefühlt hat und wie er seine Arbeit umgesetzt hat.” Musik kann also hier als Gesamtkunstwerk verstanden werden, inklusive Texten und Albumcover.

Dies ist auch der große Unterschied zu Stream und MP3 Plattformen, auf denen ganze Diskographien teilweise ungehört auf der Festplatte verrotten. Wie viel Arbeit dahinter steckt, wird bei der Entstehung eines Abums erst wirklich bewusst. Dabei setzt Alissa noch auf alte Methoden. “Ich schreibe meine Texte immer noch in ein altes Skizzenbuch. Einige meiner Texte habe ich nie abgetippt oder irgendwo übertragen. Ich kann mich mit Worten eher ausdrücken, wenn ich etwas per Hand schreibe, weil das Gefühl besser transportiert wird.” Letzten Endes ist es mit den Texten genauso, wie mit der Musik: eingekerkert in seiner Form wartet es nur darauf andere Menschen in ihrer Welt zu treffen und zu größerem zu inspirierren. Der “Will To Power” hat viele Gesichter, trifft bei ARCH ENEMY in Sachen Präzision und Aggression voll ins Schwarze.

Radu

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